Die Idee, für den oft hemdsärmeligen Umgang von Künstlern und Ausstellern/Ausstellerinnen mit dem Gefahrenstoff Schimmel einige Beispiele zusammenzustellen, kam mir nach dem Besuch der Biennale in Venedig (für Nicht-Restauratoren: das Gefährdungspotenzial).
Aktuell züchtet Gal Weinstein dort im Israelischen Pavillon unter dem Titel „Sun Stand Still“ seit Mitte Mai großflächig Schimmel auf Kaffeegrund und Zucker, Außentemperaturen um die 30°C, perfekte Bedingungen. Es riecht süßlich-schimmelig-aromatisch. Die Idee hatte Weinstein, nachdem er vergessen hatte, seine Kaffetasse rechtzeitig abzuwaschen. Eigentlich dürfte sich in den Räumen niemand ohne Schutz aufhalten, jedoch arbeiten Angestellte dort. Das Projekt endet mit der Biennale am 26. November, falls das Haus nicht doch vorher dicht gemacht wird.
Über den Italienischen Beitrag von Roberto Cuoghi „Imitazione di Cristo“ kann ich nichts über das Material sagen, auch hier scheinen ähnliche Prozesse (Il Giornale Dell Arte) in Gang zu sein.
Dem Graffiti-Künstler Señor Schnu, der seine Moos-Joghurt-Graffitis normalerweise an Hauswänden installiert, ist im Innenraum in der Berliner Ausstellung „The Haus“ im Mai 2017 in Berlin offenbar eine ähnliche Zucht gelungen. Der „Tagesspiegel“ schreibt am 5.5.2017: „… Dann schlägt einem im vierten Stock plötzlich wilder Geruch entgegen. Der Geruch … hat sich am Wochenende über den ganzen Gang ausgebreitet. Jeden Morgen muss jetzt eine Stunde gelüftet werden. Es trauen sich nicht alle hinein, „sonst kippe ich noch um“…“
Dieter Roths Bilder und Skulpturen (Schokolade, Vogelfutter, Fleisch Käse und mehr) aus seinem Hamburger Schimmelmuseum (Abriss 2004) werden inzwischen geschützt ausgestellt. Immerhin musste sich bereits 1970 in Los Angeles seine Galeristin vor Gericht wegen Gesundheitsgefährdung verantworten.
Auch der Wiener Fotograf Klaus Pichler arbeitet mit Lebensmitteln und schützt sich, jedoch nicht sein Wohnzimmer: „… Ich muss es ganz bewusst im Wohnbereich machen, um meiner Arbeitsweise eine gewisse Brisanz und Tiefe zu geben und um mich auch selbst zu prüfen, ob ich das schaff.“ Man sieht es im Film, daraus stammt dieses Bild.
Bei Daniel Bräg, der die „Ästhetik der Verwesung“ thematisiert, wurden die verfallenden Objekte immerhin in Kühlschränken und Weckgläsern ausgestellt.
Die Apfelsinenschalen von Michel Blazy sowie andere seiner Objekte durften wiederum direkt im Ausstellungsraum schimmeln.
Einige Künstler scheinen (oder schienen) nichts über die Gefahr zu wissen, der sie sich selbst sowie die Betreuer und Besucher ihrer Ausstellungen aussetzen. Ich erinnere mich gut an das Umdenken um die Jahrtausendwende, als Arbeitgeber plötzlich (in der Biostoffverordnung wurden nun ausdrücklich Schimmelsporen als Gefahrstoffe aufgeführt) in die Pflicht genommen wurden, ihre Angestellten vor dem Einatmen der freigesetzten Sporen zu schützen. Das hat sich anscheinend nicht bis zu den AusstellungsmacherInnen herumgesprochen.
Dass ich (außer der Fotografin Cindy Sherman, von der ich allerdings nichts über ihre Arbeitsweise im Netz gefunden habe) keine Frauen gefunden habe, die ihre Werke vom Schimmel erschaffen lassen, kann verschiedene Gründe haben. Vielleicht arbeiten sie lieber selbst…
Und: Ich habe ein neues Wort gelernt: das Abjekt. Bitte selber gugeln, falls unbekannt.
Heike Sommerfeld (die sich ein wenig wie eine Spaßbremse fühlt)